Nachtzug nach Lissabon. Ein Film mit Martina Gedeck, Lena Olin, Mélanie Laurent und Charlotte Rampling. Auf DVD und Blu-ray ab 30. September 2013 - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kunst + Kultur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 03.03.2013


Nachtzug nach Lissabon. Ein Film mit Martina Gedeck, Lena Olin, Mélanie Laurent und Charlotte Rampling. Auf DVD und Blu-ray ab 30. September 2013
Julia Lorenz

Ein großartiges Ensemble eigenwilliger Frauencharaktere begleitet in Bille Augusts neuestem Streich einen alternden Lateinlehrer auf der Suche nach einem mysteriösen Literaten - und sich selbst.




Hätte Raimund Gregorius (Jeremy Irons) seine Wohnung an einem tristen Tag in Bern wenige Minuten später verlassen, wäre er nicht zum Lebensretter geworden: Der Fremdsprachenlehrer trifft auf der Kirchenfeldbrücke auf eine junge Frau, die ihrem Leben offensichtlich mit einem beherzten Sprung ein Ende setzen will. Im letzten Moment kann er den Selbstmord verhindern und hält die Gerettete an, ihn zu seinem Arbeitsplatz zu begleiten. Kurz darauf ist die Fremde, die sich als Portugiesin entpuppt, jedoch verschwunden - zurück bleibt nur ihr roter Mantel. In diesem findet der in die Jahre gekommene Lateinexperte, der sich seit der Scheidung von seiner Frau immer tiefer in seinem intellektuellen Elfenbeinturm verschanzt, ein schlichtes Büchlein, das ihn augenblicklich fasziniert: "Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist - was geschieht mit dem Rest?", fragt der portugiesische Arzt Amadeu de Prado die LeserInnen seines Buchs "Ein Goldschmied der Worte" - und Gregorius sucht eine Antwort.

Als er zufällig ein Zugticket nach Lissabon zwischen den Seiten des Werks entdeckt, bricht er ohne Gepäck und Urlaubsgenehmigung zur Reise nach Südeuropa auf. Er möchte den Autor des Buchs ausfindig machen, dessen Zeilen ihm derart aus der Seele sprechen. Mit einem Blick ins Telefonbuch ist die Arbeit jedoch nicht getan: Die Nachforschungen zu Amadeu de Prado geraten zur Spurensuche auf den Pfaden brisanter politischer und emotionaler Verwicklungen, die Raimund Gregorius mehr und mehr über sein eigenes Leben nachdenken lassen.

Revolution, Moral und Medizin, die große Liebe und die allgegenwärtige Frage nach dem Sinn des Lebens - all das gibt Pascal Merciers Erfolgsroman her, und all das ist sicherlich ein wenig viel für einen zweistündigen Spielfilm. Dennoch entschleunigt Regisseur Bille August den "Nachtzug nach Lissabon" nach seinem fulminanten Start und nimmt sich Zeit für seine Charaktere und ihre individuellen Schicksale. Die Besetzung der amerikanisch-deutsch-schweizerischen Produktion ist kurios, funktioniert jedoch - trotz oder aufgrund des crossnationalen Ensembles? - überwiegend fantastisch: Neben Jeremy Irons, dessen ruhiges, wehmütiges Spiel seinem Protagonisten auf der Suche nach neuen Lebensperspektiven hervorragend gerecht wird, sind auch deutsche Größen wie Martina Gedeck und Bruno Ganz Teil der Belegschaft. Mélanie Laurent, zugleich undurchschaubar und verletzlich, vor allem jedoch August Diehl als rasender Verliebter, der aus Eifersucht zum Töten bereit ist, zeigen Tiefgang und vermeiden unnötige Melodramatik.

Das trifft auf die ästhetische Gestaltung des Stoffs nicht immer zu: Vor allem zur filmischen Umsetzung der Gedankenwelt des jungen, leidenschaftlichen Amadeu wird vom Romantik-Holzhammer Gebrauch gemacht, was den philosophischen Anleihen des Films leider abträglich ist: Der von Gregorius bewunderte Autor überzeugt in den Passagen aus seinem Roman - aus dem Off vorgetragenen und mit pathetischen Klängen unterlegt - nicht als sensibler Freidenker, sondern als theatralischer Wortakrobat. Das liegt jedoch nicht nur am aus dem Kontext in die Bedeutungslosigkeit gerissenen Gedankenstrom Amadeu de Prados, sondern auch an Schauspieler Jack Huston, der als idealistischer Schönling eine allzu glatte Vorstellung abliefert.

Regisseur Bille August hat in der Vergangenheit bewiesen, dass er keine Angst vor großen Vorlagen hat. Auch sein neues Werk ist ein wunderbar besetzter und erzählter Film, der sich jedoch an der Motivfülle von Pascal Merciers 495-Seiten-Wälser verhebt. Eine Schwerpunktsetzung zugunsten der politischen, philosophischen oder zwischenmenschlichen Implikationen des Romans hätte dem Vorhaben gutgetan.

AVIVA-Tipp: Ohne Frage: Dieser Zug entgleist dem ambitionierten Regisseur streckenweise. Doch trotz der Tendenz, eine größere Themenvielfalt anzustreben, als das Medium Spielfilm verträgt, unterhält Bille Augusts "Nachtzug nach Lissabon" bestens und berührt vor allem in seinen leisen Momenten: Szenen, die Einsamkeit, Unsicherheit und Zerrissenheit seiner Charaktere offenbaren, ohne dafür schwere Geschütze aufzufahren.

Zum Regisseur: Bille August wurde 1948 in Brede/Dänemark geboren. Nach einer Fotografenausbildung in Stockholm besuchte er die Danske Filmskole in Kopenhagen. Der Regisseur, der sechs Jahre lang mit der Schauspielerin Pernilla August verheiratet war, erhielt für sein Schaffen bereits mehrere Preise: Sein Film "Pelle, der Eroberer" wurde 1988 mit einer Goldenen Palme in Cannes ausgezeichnet, im darauffolgenden Jahr nahm er den Oscar als Bester ausländischer Film für das Werk entgegen. Mit Bestsellerverfilmungen ist August bereits vertraut: Er brachte nicht nur Isabel Allendes Roman "Das Geisterhaus" (1993) und Peter Høegs "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" (1997) auf die Leinwand, sondern widmete sich auch fünfzehn Jahre vor Tom Hoopers Neuinterpretation Victor Hugos Klassiker "Les Misérables". Darüber hinaus wurde ihm 2007 der Cinema for Peace Award als bester Regisseur für seinen Film "Goodbye Bafana" verliehen.

Nachtzug nach Lissabon
USA/Schweiz/Deutschland 2013
Regie: Bille August
DarstellerInnen: Jeremy Irons, Mélanie Laurent, Jack Huston, Martina Gedeck, August Diehl, Bruno Ganz, Lena Olin, Christopher Lee, Charlotte Rampling
Buch: Greg Latter und Ulrich Herrmann nach einem Roman von Pascal Mercier
Kamera: Filip Zumbrunn
Schnitt: Hansjörg Weissbrich
Musik: Annette Focks
ProduzentInnen: Peter Reichenbach, Günther Russ, Kerstin Ramcke, Michael Lehmann, Michael Steiger
Co-ProduzentInnen: Benjamin Seikel, Ana Costa, Paulo Trancoso, Dr. Herbert Kloiber
Laufzeit: ca. 107 Minuten + 16 Minuten Bonus
DVD-Bonusmterial: Making-of, Deutscher und Original-Kinotrailer, Wendecover
Bildformat: 1,85:1 (16:9)
Sprachen: Deutsch DD 5.1/DTS 5.1, Englisch DD 5.1, Deutsche Hörfilmfassung für Sehgeschädigte
Untertitel: Deutsch und deutsch für Hörgeschädigte (ausblendbar)
Ländercode: 2
FSK: ab zwölf Jahren
EAN-Code: 4010324200402
Verleih: Concorde Filmverleih GmbH
Produktion: Studio Hamburg Filmproduktion und C- Films AG (Schweiz) in Koproduktion mit Cinemate SA, C-Films (Deutschland), TMG Tele München Gruppe in Zusammenarbeit mit dem ZDF
Bestell-Nr.: 20040
Preiscode: B
Preis: 12,99 Euro

Blu-ray

Bildformat: 1080p High Definition (16:9) 1,85:1
Sprachen: Deutsch DTS-HD Master Audio 5.1, Englisch DTS-HD Master Audio 5.1, Deutsche Hörfilmfassung für Sehgeschädigte
Untertitel: Deutsch und deutsch für Hörgeschädigte (ausblendbar)
Bestell-Nr.: 3913
Preiscode: L
Preis: 14,99 Euro
EAN-Code: 4010324039132

Start: 30.09.2013

Der Film im Netz: www.concorde-home.de

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Beitrag vom 03.03.2013

Julia Lorenz